Imaginäre Räume
Eva Meloun und Ernst Zdrahal
Wer eine Landschaft malt muss von der Landschaft ausgehen. Aber er darf nicht bei der Landschaft stehen bleiben. Viele Kunsttheoretiker meinen, die Farbfotografie habe der Landschaftsmalerei und der realistischen Kunst insgesamt ihre Existenzberechtigung entzogen. Doch die Frage, was sehen wir, wenn wir eine Landschaft betrachten, ist heute genauso aktuell wie in früheren Jahrhunderten. Und keineswegs durch das Abbild einer Fotografie endgültig beantwortet.
Allein die Betrachtung einer Landschaft im Tagesverlauf liefert hunderte Bilder: das satte Grün im Morgentau, die langen Schatten nach Sonnenaufgang, das grelle Licht der Mittagssonne, die bewegten Bilder eines Sommergewitters, die klare Luft nach dem Gewitter und dazu noch ein Regenbogen, der Sonnenuntergang in leuchtenden Rottönen usw. Schon bei der Aufzählung dieser Bilder ertönen die Sirenen und schlagen Kitschalarm! Eva Meloun und Ernst Zdrahal lassen den Kitsch-Verdacht in ihren imaginären Räumen erst gar nicht aufkommen. Ausgangspunkt ist für beide die Landschaft, wie wir sie in der Natur erleben, bzw. die Landschaft als Naturraum. Doch der Versuch, die Landschaft zu erschließen, führt immer auf eine zweite Ebene hinter der Landschaft.
Bei Meloun ist das meist eine poetische Ebene, die den Raum in Schwingungen versetzt, indem das vordergründig vorhandene Landschaftsbild während des Betrachtens unvermittelt in den Hintergrund tritt und gleichzeitig den Farbraum an sich in den Vordergrund treten lässt. Die unglaublich feinen Farbabstufungen korrespondieren in manchen Bildern Melouns mit feinen, schwarzen Strichen. Diese Striche könnnen sich in eine Schrift verwandeln, die wir lesen können, oder zu Symbolen, die es zu enträtseln gilt, oder zu Andeutungen von Bäumen und Gräsern. Meloun: "Farbe und Form sind meine Mittel um die Welt - im weitesten Sinne - sichtbar zu machen. Meine Themen sind: die Symbolik der Natur - der Elemente, die Farben, Formen, Töne und spirituelle Botschaften beinhalten und ihr Zusammenspiel, das bis in den psychologischen Bereich wirkt. Die Begeisterung und das Staunen über die Natur und die unermessliche Vielfalt sind mir seit meiner Kindheit bis heute geblieben." Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar. Dieses Credo von Paul Klee macht sich Eva Meloun zu eigen, indem sie den Untergrund in den Vordergrund spielt. Die Natur der Dinge - philosophisch formuliert: das Wesen der Dinge - wird so zum Thema ihrer Bilder. Das Bild "Die Schrift des Winters" ist charakteristisch für dieses Kompositionsprinzip. Auf den ersten Blick eine kühle Winterlandschaft. Auf den zweiten Blick handschriftliche Notizen, vielleicht der Entwurf eines Gedichtes. Auf den dritten Blick Spuren im Schnee, die der Wind als archaische Kraft der Natur hinterlassen hat vermischt mit Spuren der Zivilisation, einer Handschrift, die vielleicht ein Dichter verloren hat.
Die Landschaft bleibt scheinbar sich selbst überlassen. Bei Eva Meloun tritt der Mensch in der Landschaft nicht in Erscheinung. Trotzdem ist er anwesend, und zwar indirekt, konkret durch die Reflexionen der Künstlerin. Reflexionen im Sinne von Lichtspiegelungen, die im Bild zu sensiblen Farbspielen werden, und Reflexionen im Sinne von Denkprozessen, die in die künstlerische Auseinandersetzung mit der Landschaft einfließen - diese Doppelbedeutung von Reflexion ist in den Bildern von Eva Meloun immer präsent.
Auch Ernst Zdrahal reflektiert die Landschaft. Kunst ist so vielschichtig wie der Mensch, seit jeher aber Reflexion und Spiegelbild, sagt er, und hält dem Betrachter einen Spiegel vor. Natur und Zivilisation können da schon mal in ein starkes Spannungsverhältnis geraten. Während Meloun dem Wesen der Natur auf den Grund geht, lotet Zdrahal die Konflikte zwischen Natur und Kultur aus. Typisch dafür ist das Bild "Alpenterrasse mit Touristen" aus seinem Alpenzyklus. Schroffe Felsen, dazwischen eine Terrasse mit Sonntags-Touristen, die wie im Theater, erste Reihe fußfrei, den Blick in die Ferne schweifen lassen. Den satten rot-orangen Farben zufolge schauen sie sich den Sonnenuntergang an, es könnte aber auch eine künstliche Lichtinstallation sein, die den Sonnenuntergang simuliert. Räume, die sich die Natur erobert hat, werden überhöht von Räumen, die sich die Zivilisation erobert hat. "Bei der Konfrontation der Naturlandschaft mit der vom Menschen kreierten Architekturlandschaft soll keine klare Kampfsituation entstehen, sondern es zeigen sich vielmehr in oft sehr ästhetischem Nebeneinander zwei entgegengesetzte Prinzipien und deuten auf die Gefahr ihrer Annäherung hin. Die menschlichen Konstruktionen wirken für sich beeindruckend, oft sehr reizvoll in ihren geometrischen, linear entfalteten Strukturen - grotesk wird ihr Erscheinen erst im Zusammenhang mit einer in sich geschlossenen Landschaftsumgebung, die eine gänzlich andere Ordnung aufweist", schreibt Dagmar Chobot, Kuratorin der Ausstellung "landscape contemporary", die bis Ende August in mehreren Gemeinden Niederösterreichs gezeigt wird. Neben Herbert Brandl, Gunter Damisch und Eva Schlegel zeigt Ernst Zdrahal in dieser Wanderausstellung Arbeiten aus den 1990er Jahren.
Druckfrisch, auch buchstäblich gemeint, sind dagegen die Arbeiten, die Zdrahal im Schloss Fischau zeigt. Druck und Collage sind wichtige Aspekt seines Kompositionsprinzips. Die individuell entwickelten drucktechnischen Verfahren Zdrahals sind nicht nur wegen ihrer Technik interessant, sondern auch als Konzept: immer wieder greift er fertige Motive auf, im Alpenzyklus auch Ikonen der Kunstgeschichte wie Albin Egger-Lienz oder Alfons Walde, und stellt sie in einen neuen Kontext. Manchmal mit feiner Ironie durchzeichnet, manchmal auch gesellschaftskritisch verfremdet. So kann mancher seiner imaginären Räume durchaus auch als Warnung verstanden werden vor allzu massiven Eingriffen in die Natur, denn: der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt! Zdrahal beweist, dass man die Themen Landschaft, Raum und Architektur, an denen sich schon Generationen von Künstlern abgearbeitet haben, immer noch neu erfinden kann.
Mag. Hubert Thurnhofer